Digital vs. analog – Zeichnen auf dem Tablet

Anfang 2019 habe ich angefangen, digital zu zeichnen. Lange war ich skeptisch, denn ich hatte keine Lust, wieder mit einem technischen Gerät zu arbeiten – schließlich war ich ja zu Sketchnotes gekommen, weil ich wieder etwas Analoges und anderes als Pixelschubserei am Rechner machen wollte.
Digitales Arbeiten hat aber unbestreitbare Vorteile, die mich schließlich doch überzeugt haben:

  • Die Zeichnungen sind sofort in hoher Qualität digital verfügbar.
  • Arbeitsschritte sind revidierbar, Korrekturen unproblematischer.
  • Stifte, Pinsel und Farben sind in riesiger Auswahl immer verfügbar.

… aber auch Nachteile:

  • 
Eingabestift und App als Werkzeuge sind stärker gewöhnungsbedürftig und 
erfordern mehr Übung als der Umgang mit Stift und Papier.
  • Abhängigkeit von Strom
  • Die Revidierbarkeit der Schritte fördert einen ungesunden Perfektionsmus.


In der Gruppenarbeit, wenn es schnell und partizipativ zugehen soll, sind analoge Werkzeuge meist die bessere Wahl. Für alle, die viel digital arbeiten und Bilder unkompliziert mit anderen teilen oder sie weiterverarbeiten möchten, ist ein Tablet klasse.
Mein persönliches Fazit: Wenn ich privat zeichne, greife ich lieber zu analogen Werkzeugen  – schöne Stifte, Pinsel, Aquarell- und andere Farben. Fehlende Korrekturoptionen sind hier sogar ein Vorteil – man wird lockerer und damit auch zeichnerisch besser. Auch für schnelle Skizzen im Stadium der Ideenfindung greife ich lieber zu Bleistift oder Fineliner, weil das Festhalten damit meist schneller geht.
Für meine Website und bei Auftragsarbeiten immer öfter gern digital, weil Korrekturen/Änderungen und die »Weiterverarbeitung« (Skalieren, Teilen in Social Media, Ausgabe in verschiedenen Formaten…) einfacher sind.
Ich möchte hier ein paar Grundlagen erläutern und einige Apps vorstellen. Ich zeichne mit dem Apple Pencil auf dem iPad, darüber hinaus sollen der Stift von Paper 53 und die WACOM-Bamboo-Stifte gut sein.

Grundsätzliche Unterschiede
Wer digital zeichnet, sollte den Unterschied zwischen Vektoren und Pixeln kennen.
Kurz und vereinfacht: Pixel sind kleine Quadrate, aus denen sich digitale Fotos zusammensetzen.
Viele Zeichen-Apps arbeiten mit Pixeln, d.h. die produzierten Linien sind gar keine Linien, sondern technisch gesehen Fotos. Das bedeutet, dass beim Vergrößern ab einer gewissen Grenze Qualitätsverluste entstehen – die Pixel werden sichtbar, an den Konturen als Treppchen. Pixeldateiformate sind z.B. TIF, JPG, BMP, PNG, PSD, GIF. Bei Vektoren dagegen werden mathematisch genau konstruierte Pfade und Linien gespeichert. Vektorgrafiken lassen sich ohne Qualitätsverlust beliebig skalieren und leicht ändern, dafür gibt es an den Pfadpunkten Anfasser. Vektordateiformate sind z.B. EPS (Achtung: man kann aber auch Fotos als EPS abspeichern!), AI, SVG, CDR, WMF. Mehr dazu z.B. hier https://www.flyeralarm.com/blog/de/der-unterschied-von-pixel-und-vektorgrafiken/

Warum ist dieser technische Unterschied wichtig? Wenn ihr eure digitalen Zeichnungen nur im Web, in Social Media oder in Formaten wie PowerPoint zeigt, kommt ihr i.d.R. mit pixelorientierten Apps klar. Sobald aber eine starke Skalierung und/oder die Verwendung im hochauflösenden Druck einkalkuliert werden muss, sind Vektor-Apps besser, weil die Darstellung randschärfer ist. Pixel-Apps können da an Grenzen stoßen.

Apps für das digitale Visualisieren
Neben der Entscheidung für eine Vektor- oder Pixel-App sind weitere Kriterien wichtig:

  • Komme ich mit dem Handling gut zurecht?
  • Kann man Ebenen anlegen und/oder Objekte gruppieren?
  • Bietet die App schon in der Basisversion eine gute Auswahl an virtuellen Stiften und Pinseln? Bei einigen Apps kann/muss man »schickere« Stifte und Pinsel extra dazukaufen.
  • Kann man Farben präzise definieren? (Das ist besonders wichtig für den Export von druckfähigen Dateien.)
  • Welche Exportformate und -optionen bietet die App an?
  • Sind Preis-/Leistungsverhältnis für mich okay? Wie oft nutze ich die App?

Ob dir das Handling einer App liegt, musst du ausprobieren – das kann eine Weile dauern.
Zum Glück sind die meisten Tools in der Basisversion nicht teuer oder sogar gratis, so dass du verschiedene testen kannst. Etliche Apps gibt es im Monats- oder Jahresabo. Detaillierte Infos dazu in den App-Stores.

Bamboo Paper
Pixel-App
keine Ebenen
Komplexität/Handling: •
Gut geeignet für schnelle, einfache Skizzen und zum Schreiben

Paper 53
Pixel-App
keine Ebenen
Komplexität/Handling: ••
Für einfache Skizzen, Schreiben. Angenehme Werkzeugauswahl.
Tayasui Sketches
Pixel-App
bis zu 4 Ebenen
Komplexität/Handling: ••
Zum Skizzieren, Zeichnen, Malen. Sehr schöne Werkzeuge.
Procreate
Pixel-App
Ebenen möglich*
Komplexität/Handling: •••
Zum Skizzieren, Zeichnen, Malen. Jede Menge toller Werkzeuge.
Vectornator
Vektor-App
Ebenen möglich*
Komplexität/Handling: •••
Zum Skizzieren, Zeichnen, Konstruieren. Kann viel und ist umsonst! (Ich habe persönlich keine Erfahrung damit.)
Affinity Designer
Vektor- und Pixel-App
Ebenen möglich*
Komplexität/Handling: ••••

Pixel und Vektor in einer App! Handling teilweise umständlich.

Skizzieren, Zeichnen, Malen, Konstruieren. Jede Menge toller Werkzeuge.
Concepts
Vektor- und Pixel-App
Ebenen möglich*
Komplexität/Handling: ••••

Derzeit (20.4.2020) meine Lieblings-App. Das geschmeidige Handling und die gut durchdachten Tools wiegen für mich ein paar Nachteile der App auf.

* Die Anzahl möglicher Ebenen hängt in vielen Apps vom gewählten Endformat und der Auflösung ab: Je größer und höherauflösend die Arbeit, desto weniger Ebenen sind möglich.